Wir haben nun über einige Wochen einen Unterricht erlebt, der Knall auf Fall nicht mehr in den Klassenzimmern stattgefunden hat. Das Wissen konnte - wer hätte je damit gerechnet - nicht mehr direkt verordnet und vermittelt werden. Das Kommandieren und Kontrollieren und das Konsumieren und Aufträge erledigen in einem geschützten Raum- gerade Geschichte geworden.
Ein Virus macht’s möglich
Doch Schule musste weitergehen. Irgendwie. Die Lehre aus der Ferne und das Lernen zu Hause, die naheliegende Antwort. Unterrichtende versuchten entweder verzweifelt, Frontales zu verschriftlichen und Stoff portionenweise zur Verarbeitung abzugeben. Andere erstarrten schlicht, weil sie sich ihrer zentralen Funktion als Beschulerin oder als Vermittler handstreichartig enthoben fühlten. Oder sie wurden experimentierfreudig, witterten die Chance, Formen von digitalen Lernarrangements zu intensivieren, Fern-Lernbegleitungen und virtuellen Austausch in dieser Ausnahmesituation und „on the job“ einfach mal zu testen.
Eigentlich - Lernmöglichkeiten ohne Ende
Die Umsetzungsvielfalt und -qualität entsprach wohl der von normalem Präsenzunterricht. Und doch. Was für eine Chance, mal ohne vertiefte Vorbereitung unbekannte Lernwege zu gehen, Bekanntes loszulassen und sich einzulassen auf das, was da kommt. Zuzulassen, was sich entwickelt, dem Lernenden zuzutrauen, dass Interesse wachsen kann und Lernschritte im persönlich passenden Tempo geschehen. Was für eine Gelegenheit, Punkt-für-Punkt-Anleitungen mal durch Lernfreiräume zu ersetzen und zu erleben, dass diese sehr vielfältig erforscht werden. Und was für eine Herausforderung, auf der einen Seite Verantwortung abzugeben um im Gegenzug selbstständiges, selbstorganisiertes und selbstverantwortetes Lernen zu erwarten.
Ja, ist mir bewusst. Klingt sehr optimistisch.
Der Mensch lernt aus Not, Einsicht oder Überzeugung. Überzeugte Lehrpersonen haben gehandelt und oft auf bereits früher eingeführte digitale Lernformate zurückgreifen können. Andere Unterrichtende haben aus der Not einige digitale Instrumente und Lernumgebungen mindestens mal ausprobiert. Sollte hier die Einsicht siegen, die gewonnenen Erkenntnisse nicht gleich wieder dem Vergessen preiszugeben, könnte personalisiertes Lernen, mit Unterstützung von digitalen Hilfsmitteln, vielleicht doch noch - und dank dem Virus - einen kleinen Schritt vorwärts kommen.
Doch dies geschieht wohl kaum, wenn jetzt - die Schulen haben wieder geöffnet - einfach zur Tagesordnung übergegangen wird und möglichst rasch wieder der Courant normal gilt. Das auf Misstrauen basierende Command & Controll-System ist zwar aufgelaufen,im Fernunterricht und im Homeschooling. Auch Eltern haben zu spüren bekommen, dass eingefordertes Lernen nicht sehr förderlich ist und dass das Eintrichtern von Wissen auch im 21. Jahrhundert viel Stress erzeugt und wenig bringt. Doch ob ihnen auch bewusster geworden ist, dass vor allem selber lernen klug macht. Ich weiss nicht.
Dass viele Kinder und Jugendliche überfordert waren, ist eine Tatsache. Dass es die Lehrpersonen und die Eltern teilweise auch waren, war offensichtlich. So blieben SchülerInnen oft auf sich gestellt, hatten kaum Unterstützung. Vielleicht wächst die Erkenntnis, dass Lernkompetenzen, sogenannte überfachliche Kompetenzen, im Unterricht intensiver gefördert werden müssten und sich damit die Voraussetzungen für selbstbestimmtes Lernen verbessern würden.
Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.
Mahatma Gandhi
Ich denke, dass wir unsere Vision von Lernen im Colearning noch radikaler leben dürfen. Wir wollten die Arbeitswelt der Erwachsenen und die Lernwelt der Jugendlichen zusammen bringen. Das ist uns zum Teil gelungen. Doch was ist, wenn wir das gleich zusammen denken? Nicht hier die Arbeitswelt und da die Lernwelt. Nicht hier die Erwachsenen und da die Jugendlichen. Lernen ist integraler Bestandteil von Arbeiten. Lernen und Arbeiten sind schöpferische Tätigkeiten, die zum Leben gehören. Wir alle sind Lebewesen und Lernende. Und so korrespondieren neue Arbeitsformen immer auch mit neuen Lernformen. Neue Lernformen unterstützen innovative Arbeitsformen. „New Work“ zum Beispiel gedeiht in der Arbeitswelt besser, wenn die Kompetenz, in Projekten und in virtuellen Teams zu arbeiten, bereits als Lernform immer wieder praktiziert und damit kontinuierlich aufgebaut worden ist.
Öffnen wir den Lernort Effinger für Colearner jeden Alters. Bieten wir die Möglichkeit, das fluide Netzwerk zu nutzen und mit den unterschiedlichsten Talenten zu füttern. Unterstützen wir uns gegenseitig in Lernprojekten und im Auf- und Ausbau von Begabungen, ob als Mentor, Mentee, Teilgebender, Teilhabender oder Teilnehmender.
Helfen wir mit, eine neue Arbeits- und Lernkultur zu prägen. Soziokratisches Handeln und Design Thinking sind Elemente davon.
Mit der Ausarbeitung des Konzepts zum Colearning haben wir vor einem Jahr eine Grundlage geschaffen. Das Konzept diente uns als Denkgerüst. Doch es war und ist uns wichtig, dass sich Dinge nicht nach Plan entwickeln müssen. Ganz im Gegenteil. Aktuelle Entwicklungen werden zum neuen Plan. Das haben wir so gelebt. Nun kommt eine neue Phase. Ein neuer Plan darf skizziert werden. Und wir lernen immer dazu!