Ein Fussball, gefangen unter einem auf ihn herunterfallenden Netz. Das Netz, viel zu gross für diesen kleinen Ball. Der Ball rollt nicht mehr. Blockiert. Aufgehalten und verstrickt in all den gruseligen Geschichten und Geschehnissen, die unsere Welt lähmen und beschmutzen. Eine Installation. Ein Kunstobjekt. Ein Netz, geknüpft aus zusammengerollten Zeitungen. Man hätte auch Filz oder einfach „gschlifriges“ Seegras nehmen können. Egal. Ähnliche Wirkung, ähnliche Symbolik.
Doch vielleicht mahnt der Künstler auch einfach das Netzwerk an, eng verbunden, bestehend aus unterschiedlichsten Interessen und Playern, die den Fussball zwar auf roten Teppichen und in VIP-Logen hoch loben und zelebrieren, den wunderbaren Sport jedoch manipulieren, nötigen, erdrücken und - wortwörtlich - mit Füssen treten.
„Make the Welt a better place“ hat er mal gesagt, der Blatter Sepp, naivkorrupt, ein in die Jahre gekommener Hirtenjunge aus dem Wallis, allmächtig, herrschend und Gott nah. Halleluja und Amen zugleich. Väterlich und nicht ganz uneigennützig legte der den Mantel der Verdunkelung und des Schweigens über die, die auf verschlungenen Pfaden vom Netzwerk profitierten und es aussaugten. Und das nicht zu knapp. Dass diese Menschen den Hals nicht voll genug bekommen, zeigt der Pfiifaa-Übervater, der jetzt am Werk ist, modellhaft. Infantino. Auch er ein Walliser. Mag es Zufall sein?
Doch wer das Netzwerk der Informierten, Involvierten, und Profiteure, gut geknüpft und verknotet, mit Fake News und blütenweiss gewaschenen Noten, wer also diesen menschengemachten Geldgiersumpf wagt infrage zu stellen oder gar versucht auszuheben, darf nicht einmal mit der Unterstützung der obersten Strafbehörde in der Schweiz rechnen, geschweige denn mit der Einsicht von korrupten Funktionären. Geld schlägt Ethik und Moral. In Millionenhöhe. Noch vor dem Frühstück!
Doch zurück zum Fussball, dem Spiel auf die zwei Tore, mit zwei Teams - und dem Ball, banal einfach, fast überall spielbar. Weltumspannendes Phänomen. Menschen und Generationen verbindend. Eigentlich.
„Fussball ißt unser Leben“, so steht es geschrieben auf der Website, auf Einladungen und dem Programm der Ausstellung. Titel und Denkanstoss zugleich.
Kickoff!
Wir sind auf einem Rundgang entlang den ausgestellten Werken, zu sehen im Kunsthaus Interlaken. Unterwegs mit Freunden. Fussballkameraden. Nicht gänzlich unambitioniert, auch jetzt nicht, haben wir doch selber vor Jahren diesen Sport gemeinsam mit viel Freude und Elan betrieben. In dieser Stimmung sehen wir auch die Ausstellung. Fast so lebendig und trickreich wie früher auf dem Fussballplatz, geben wir einander Impulse, machen Finten, stellen Fragen, haben Ideen, gehen aufeinander ein, grätschen dazwischen, umspielen gekonnt, was uns nicht passt. Es gibt einiges zu lachen. Ach, die gute alte Zeit. Sind wir jetzt auch schon so weit? Ja, längstens!
Ein Thema ist natürlich nicht auszuklammern. Wollen wir auch nicht. Von Beginn weg liegt es in der Luft. Die bald startende WM in Qatar. Die Betreiber des Kunsthaus Interlaken sind selber grosse Fussballfans und haben sich entschieden, während der WM, flankierend zur Ausstellung, eine Art Public Viewing zu organisieren.
Soll man sich das ganze nun anschauen? Soll man diese Art von Fussballsnobismus, Korruption und Arroganz einfach hinnehmen? Soll man, dem Sport zuliebe, diesen menschenverachtenden Umgang mit Arbeitersklaven, Frauen und Homosexuellen einfach tolerieren? Es ist halt ihre Kultur, höre ich. Soll man das alles einfach akzeptieren, wegdrücken, einschalten und sich am Fussballsport erfreuen. Die Meinungen gehen auseinander. Ist jetzt der Mensch im Grunde gut oder halt doch auch böse? Haben wir das Recht, zu unterscheiden? War es früher besser? Argentinien 1978 mit der damals regierenden Militärjunta, Brasilien mit den gigantischen Armensiedlungen und den heute von Unkraut überwucherten Fussballtempeln, Russland, als hirnrissige Propagandamaschinerie mit Austragungsorten über den ganzen Kontinent verteilt. War all das besser?
Wir ziehen weiter, lassen uns beeindrucken von Werken, die Schüler:innen oder Künstler aus unserer Runde hergestellt haben, kommen zu grossformatigen Pop Art Werken, kleinformatigen Skizzen, Entwürfen, interessanten und spassigen Videoinstallation und einem Kleinfeld, auf dem mit zusammengepressten Blechdosen auf zwei kleine Tore gespielt werden kann. Wir sind nicht zu halten. Sofort im Eifer. Die Büchse muss ins Eckige. Faszination Fussball!
Im Angesicht einer Installation und Fotos, die ein Künstler zur Ausstellung beiträgt, werden wir noch einmal nachdenklich. Die Fotos zeigen Gastarbeiter in Qatar, aufgenommen in zum Teil himmeltraurigen Unterkünften, dicht an dicht. Und da ist eine Installation desselben Künstlers, der an einem Garderobenständer aufgehängte Fussballleibchen zeigt, versehen mit der Nummer, einem Namen und dem Schriftzug „Died in Qatar“. Er nennt sie „das vergessene Team“, alles Menschen, die auf den Baustellen von Qatar unter zum Teil ungeklärten Umständen umgekommen sind, nur weil wir hohe Fussballkunst aus klimatisierten Fussballtempeln direkt aus der Sandwüste anschauen wollen.
Natürlich drehen sich unsere Diskussionen um Wege, damit umzugehen. Es ist uns allen klar, dass das so, auf diese Weise, an diesem Ort nie hätte geschehen dürfen. Jetzt ist es passiert. Die Opportunisten wählen den Weg, den Fussballsport in den Mittelpunkt zu rücken, den sportlichen Wettkampf, und den fahlen Beigeschmack mit Hinweisen und Gesprächsrunden zu thematisieren. Ob das reicht, um mit Begeisterung die Spiele zu schauen?
Ich habe meine Zweifel. Und ich merke auch jetzt, in dieser Runde, dass ich schlicht keine Lust habe, mich dieser Dissonanz auszusetzen.
Auf den Fussballplätzen in Bern gibt es jedes Wochenende eine Vielzahl von Spielen zu sehen. Regionale 2. Liga, zum Beispiel. Ansehnliches Niveau bei einem Bierchen und einer Wurst. Sicher schaffe ich noch das eine oder andere Spiel vor der Winterpause.
Qatar? No-Go! Für mich.