Vor mir auf dem Tisch liegt die neueste Ausgabe der schulpraxis, der pädagogischen Zeitschrift von Bildung Bern. Sie ist betitelt mit “Diagnose”. Auf dem Titelbild sind über einem Ausschnitt eines Gesichts Wortpaare abgebildet, ungleich in Lesbarkeit und Farbe.
Da steht zum Beispiel “abgeklärt” und etwas verdeckt “offen”, “ungenügend” und “einwandfrei”, oder “etikettiert” und “unerkannt”, oder “schubladisiert” und “frei”.
Abklärungen und Diagnosen gehören heute zur Schule wie Lektionen und Noten. Was bewirken sie? Ginge es auch mit weniger? Wären Schule und die darin Lernenden und Arbeitenden weniger krank, wenn weniger unterrichtet würde und mehr wirklich gelernt werden dürfte? Ein paar vorauseilende Gedanken von meiner Seite und ein Streifzug durchs Heft. Das Zitat im Titelbild stammt von Ignacio Estrada und macht mit wenigen Worten deutlich, worum es im Kern geht.
Mir ist die Gestaltung der Titelseite erst beim zweiten in die Hand nehmen aufgefallen. Und ich wurde neugierig. Sollte es in diesem Heft wirklich darum gehen, dass Diagnosen, die zum Erkennen und zur Bewältigung einer Krankheit oder eines Problems sicherlich oft helfen können, eben auch eine gegensätzliche Wirkung erzielen können? Eine Schwierigkeit wird erkannt und definiert, der betroffene Mensch damit jedoch auch gleich etikettiert, schubladisiert und stigmatisiert. Eine stossende Entwicklung. Ich kann zwar nachvollziehen, dass Lehrpersonen in ihrer Überforderung nichts verpassen wollen und etwa mal eine Abklärung zu viel als eine zu wenig in die Wege leiten. Es locken zusätzliche Lektionen. Dass dem betroffenen Kind jedoch damit unmissverständlich ein Stempel aufgedrückt wird, es als “nicht der Norm entsprechend” klassifiziert wird, wird offenbar in Kauf genommen. Nachteilsausgleich ist die neue Lobpreisung. Was für ein Wort und was für eine Haltung dahinter. Am Kind sollen also Nachteile ausgeglichen werden, die ein überfordertes System zu einem grossen Teil selbst zu verantworten hat. Oder verstehe ich das falsch?
Über die letzten Jahre wurden die Abklärungen zahlreicher, die attestierten Lernschwierigkeiten, Störungen und Verhaltensauffälligkeiten immer häufiger. Neue Krankheitsbilder werden beschrieben, psychische Probleme häufen sich aktuell. Überall wird darüber berichtet. Und es stellt sich die Frage: Was läuft denn da falsch, dass so viele Kinder dem Unterricht nicht folgen können, krank werden, versagen, therapiert werden müssen? Das ist ja das reinste Lazarett! Macht Schule Kinder krank?
Veränderungen im Schneckentempo
Ich blättere im Heft. Die Begriffe Sanatorium, Pathologisierung, Abklärungswelle, schulische Integration kommen mir entgegen. Nur schon die metapherhafte Aussage der Titelseite deutet auf den Wahnsinn, in dem wir uns bewegen. Und der Titel über dem Artikel von Christine Vögeli Reusser, Schulleiterin, macht deutlich, wohin wir uns heute in der Schule bewegen sollten: Weg vom Denken “Kind mit oder ohne Problem”. Aber wohin?
Klar ist für mich, dass es grundfalsch und menschenverachtend ist, wenn wir auf diese Weise fortfahren. Ein Berufsleben lang habe ich mich in verschiedenen Funktionen für eine Schule eingesetzt, in der das Lernen Spass macht, in der Kinder und Jugendliche als neugierige Menschen im Zentrum stehen und sie in ihrem ureigenen Lernen unterstützt werden. Vor ein paar Jahren habe ich mich dann abgewandt, von Schule und Weiterbildung, mit der ernüchternden Erkenntnis, dass sich Schule, wenn überhaupt, nur in sehr homöopathischen Dosen und bei günstigsten Konstellationen ein bisschen verändern lässt. Meine Motivation, mich für Veränderungen im Schneckentempo einzusetzen, war nicht mehr existent. Ich fand jedoch zurück zu dem, was mich eh immer am Brennendsten interessierte. Ich wollte nach Mitteln und Wegen suchen, um dem Lernen wieder den Freiraum zu geben, der ihm gebührt. Ausserhalb der Hüllen, die es nur noch konditionieren und verwalten. Zum Glück ist Lernen ein freies Gut, etwas, das alle überall und ständig tun können. Mit einem Projekt, angesiedelt in einem Coworking Space, ist es uns in einer kleinen Community gelungen, einen Lernort zu schaffen, der mitten im Leben nicht nur die Lern- und die Arbeitswelt verbindet, sondern Lernen wieder in seiner natürlichen Form, ohne schulische Leitplanken, aufleben und gedeihen lässt.
Natürlich bleibe ich ein kritischer Beobachter der Entwicklungen im Bildungssystem und erlaube mir, Missstände zu benennen. Zugleich ist es mir wichtig, alternative Lernwege zu erkunden und zu gehen, die von uns gemachten Erfahrungen zu teilen und in die Diskussion einzubringen. Ein Grund für mein fortwährendes Interesse mag auch sein, dass mein Enkel nun bereits an der Pforte zu diesem System steht. Missstände zu benennen ist das Eine, Impulse zum Umdenken und zu einem alternativen Handeln aufzuzeigen, ist das Andere. Ich bin also gespannt zu lesen, wie sich die interviewten Expert:innen, die im Heft zu Wort kommen, zu Sinn und Unsinn von Abklärungen und den entsprechenden Verfahren äussern, und welchen Blick auf Schule und Bildung sie haben. Wie müsste Schule denn sein, damit wir mit gutem Gewissen von einer Schule für alle sprechen können?
Ich schlage die erste Seite auf und beginne mit der Lektüre.
Abkläreritis und Diagnostizitis
Das Vorwort von Franziska Schwab, der verantwortlichen Redakteurin, füllt die erste Seite. Darüber wieder eine Abbildung. Diesmal mit den Worten “eigenständig, kreativ, lebendig, interessiert und motiviert". Gefällt mir schon besser. Positiv. Aussagen mit einer Perspektive. So muss Lernen sein, denke ich.
Franziska Schwab führt mit der Feststellung ein, dass es sicher gut ist, wenn wir über Beeinträchtigungen mehr wissen und dieses Wissen auch im Sinne des Kindes anwenden können. Dann kommt ein grosses Aber. Zitat: “Wenn permanent geschaut wird, wer Defizite hat und Hilfe braucht, wenn jedes unnormale Verhalten subito abgeklärt wird, mutiert die Schule zur Klinik. Wenn “Abkläreritis” grassiert, stimmt etwas im Kern nicht mehr.” Und sie fährt fort: “Eine Erklärung, warum Kinder gerne und oft abgeklärt werden, ist relativ einfach: Weil Schüler:innen bzw. Schulen für gewisse Diagnosen Ressourcen erhalten. Diese fehlen ihnen nämlich überall.”
Eine klare Aussage, die schon auf der ersten Seite den ganzen Wahnsinn verdeutlicht. Auf dem Buckel einzelner, ausgewählter Kinder, werden in der Not zusätzliche Lektionen frei gespielt, die dann wieder allen zugutekommen. Für mich eigentlich Bschiss mit System. Leider nicht nur am System. Und in der Einleitung wird Franziska Schwab schliesslich noch deutlicher: “Vielleicht fehlen sie gar nicht (die Ressourcen), werden aber falsch eingesetzt. Womöglich würde der flexiblere Einsatz von Ressourcen mithelfen, ein zunehmend krankes, defizitorientiertes System zu heilen. Womöglich täte gute Pädagogik allen Kindern gut. Vielleicht wäre eine Rückkehr zum gemeinschaftsorientierten Denken ein heilsamer Weg aus der “Diagnostizitis”. Oder die Akzeptanz von Unvollkommenheit?”
Alles gesagt. Treffend. Die Diskussion ist lanciert. Was meinen die Expertinnen?
Mitgestalten und Mitbestimmen
Patrick Figlioli, Psychologe und Zentrumsleiter im Bereich Beratung und Dienstleistungen bei der PHBern, spricht gleich zu Beginn die Schwierigkeit an, in der von grossem Leistungsdruck und wenig Rücksichtnahme geprägten Gesellschaft klarzukommen. Es sei wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, ob ich nun krank bin, weil ich dem Druck nicht standhalte oder weil ich mich überreguliere, damit ich genüge. Von grosser Wichtigkeit finde ich die Feststellung, dass wir uns unbedingt intensiver um die Gesundheit kümmern müssen. Er spricht Gesprächsformate an, in denen wie selbstverständlich über die Gesundheit gesprochen wird. Und nicht in erster Linie über Defizite und Diagnosestellungen.
Doch: Diagnostizitis wird zu einer UnKultur, die nicht nur in der Schule grassiert. Jede und jeder googelt sich seine persönliche Diagnose zusammen. Sensibilisierung in die falsche Richtung. Bezüglich den Abklärungen in der Schule hält er fest, dass Unterstützung für überforderte Kinder absolut Sinn macht, es jedoch in die falsche Richtung geht, wenn auf diese Weise Defizite des Systems korrigiert werden. Patrick Figlioli propagiert zudem eine Wiederbelebung des gemeinschaftsorientierten Denkens und Handelns. Kinder nicht bespassen, sondern sie im Alltag einbinden, ihnen etwas zutrauen. Hier bieten sich Möglichkeiten zu Hause und in der Schule. Mitgestalten und Mitbestimmen wären die Zauberwörter. Und ohne Abklärung und Diagnose sofort und überall umsetzbar.
Ein wesentlicher Aspekt des Colearnings in Bern ist darum, alle interessierten Lernenden und Arbeitenden, Jung und Alt, in einen Entwicklungsprozess mit einzubeziehen, der die Lern- und die Arbeitswelt verbindet und Interessen, Herausforderungen und Unterstützung sichtbar und lebbar macht. Das Lernen eines Einzelnen gewinnt durch den Support der Community.
Der Vergleich ist der Anfang allen Übels
Patrick Bühler, Professor für Allgemeine und Historische Pädagogik, streicht hervor, welche negativen Auswirkungen aufs Lernen die Etablierung einer schulischen Normalität und der Vergleich durch die Schaffung der Jahrgangsklasse hatte und hat. Auch er ist kein Freund von schnellen Diagnosen, denn so mutiere die Schule zur Klinik. Er erwähnt auch, dass vernünftige Lehrpersonen sowieso sehr individuell handeln, Diagnosen hin oder her. Er nennt das “eine robuste Praxis”. Da gibt es nichts anzufügen. Nur flüchten sich halt viele Lehrpersonen in die Abklärung, weil sie mit den grossen Klassen und dem Fächer- und Beurteilungsirrsinn schlicht überfordert sind. Und doch müsste es eine Stossrichtung sein, mehr in die Prävention zu investieren. Könnte bedeuten: Kleinere altersdurchmischte Lerngruppen, Vieraugenprinzip (zwei Lehrpersonen pro Lerngruppe), entschlackte Lehrpläne oder noch besser individualisierte Lernpläne. Patrick Bühler stellt zudem fest, dass viele Kinder durch die Pathologisierung permanent unter dem Verdacht stehen, vielleicht doch heilpädagogischen Förderbedarf zu haben. Diese Frage sei jedoch oft gar keine medizinische, sondern vielmehr eine soziale. Überdurchschnittlich viele Kinder von ärmeren Familien besuchen darum die Sonderschule. Das wirft kein gutes Licht auf Integration und Inklusion. Von Chancengleichheit gar nicht zu sprechen.
Nachteilsausgleich
Einen anderen Einblick liefert das Porträt einer Schülerin mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche. Sie nennt sich in diesem Text Davina. Hier hat die Diagnose geholfen und eine Orientierung gegeben. Auch der Nachteilsausgleich hat Früchte getragen. “Hauptsache integriert” und nicht abgeschoben in die Sonderschule, meint sie. Der unbedingte Wille, die Regelschule auch mit Handicap zu schaffen, hat ihr geholfen, all die Zusatzmeilen zu machen. Und wenn sie beschreibt, was denn nun diesen Nachteilsausgleich ausgemacht hat, muss ich feststellen: Eine Schule, die alle fördert, bietet diese Rahmenbedingungen und Massnahmen allen Kindern an und nennt sie individuelle Lernstrategien und Lerntechniken in einer differenzierten Lernumgebung. Oder braucht es Abklärung und Diagnose, um ein Rechtschreibprogramm nutzen zu dürfen, sich längere Texte auch mal vorlesen zu lassen, für die Erfüllung von Aufgaben die Zeit zu haben, die es halt braucht oder situativ mit reduzierten Text- und Informationsmengen zu arbeiten? Einen weiteren wesentlichen Punkt nimmt sie auch noch auf. Es sei eben wichtig, “hilfreiche Strategien zu finden und ein Ziel zu haben. So wisse man auch, warum man zur Schule geht.”
Darum müsste es doch beim Lernen gehen: Ein Ziel haben und Lernstrategien entwickeln, die zum Ziel führen. Doch, wer einfach nur Stoff zum Wiederkäuen vorgesetzt bekommt, fragt selten nach dem Ziel. Und sieht wohl noch seltener einen Sinn in diesem Tun, das Schulbesuch genannt wird.
Gute Pädagogik oder nachhaltiges Lernen
Auch das Interview mit zwei Heilpädagoginnen und ihren Erkenntnissen niedergeschrieben in einer Masterarbeit zu ADHS macht deutlich, wie Schule mit einem individualisierenden und gemeinschaftsbildenden Angebot die Basis legen kann für ein nachhaltiges Lernen. Und zwar für alle Kinder. Erwähnt wird die Beziehungsgestaltung, dass Kinder ihre Interessen einbringen und sich zeigen können, ihnen zugehört wird, positives Verhalten verstärkt wird, sie sich respektiert und angenommen fühlen. Es braucht Bewegungspausen, oder noch besser: “Lernen in Bewegung”. Auch der Selbststeuerung und dem Aufbau eines Selbstwerts muss mehr Beachtung geschenkt werden. Eigeninitiative braucht Unterstützung, Selbstorganisation muss aufgebaut werden. Alles Dinge, die “gute Pädagogik” oder nachhaltiges Lernen sowieso beinhalten müssten. Nicht nur die nach einer Abklärung und einer entsprechenden Diagnose einsetzende spezielle Förderung.
Verschiedenheit als Chance
Michael Eckhart, er leitet das Institut für Heilpädagogik der PHBern, fokussiert in seinem Text auf Unvollkommenheiten, um unser bisweilen recht starres System, gerade auch im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Integration, zu hinterfragen. Er plädiert für eine Pädagogik der Vielfalt. Er lässt keinen Zweifel an der Feststellung, dass traditioneller Unterricht, in welchem alle zum gleichen Zeitpunkt mit den gleichen Methoden zu den gleichen Kompetenzen geführt werden, zum Scheitern verurteilt ist. Verschiedenheit soll nicht zu vermeidendes Übel, sondern als eigentliche Chance verstanden werden. So brauchen einige Kinder eben direkte und aufbauende Unterstützung, andere wiederum suchen sich ihren eigenen Lernweg. Er fragt auch: “Wo, wenn nicht in der Schule, sollen Kinder und Jugendliche das Miteinander lernen?” Gerade weil er in vielen Bereichen Handlungsbedarf sieht, möchte er Lehrpersonen Mut machen, andere Herangehensweisen auszuprobieren und dran zu bleiben, auch wenn noch nicht alles perfekt funktioniert.
Das sehe ich auch so. Viele Schwierigkeiten in der Schule sind hausgemacht, weil Lehrpersonen sich und den Schüler:innen wenig zutrauen. Ein bisschen mehr unternehmerischer Geist könnte helfen, das Lernen in einem anderen Licht erscheinen zu lassen, und könnte Kinder und Erwachsene motivieren, vermehrt ins Erkunden und Forschen einzutauchen.
Wer hat das Problem?
Eine Schulleiterin, Christine Vögeli Reusser, rundet den von mir ausgewählten Reigen an Einschätzungen ab. Und auch den Reigen an Erkenntnissen. Sie, die Praktikerin mit einer generalisierenden Sicht auf die Dinge, macht deutlich, woran das Schulsystem krankt und welche Massnahmen eine Gesundung herbeiführen können. Auch eine Gesundung der Kinder, selbstredend. Einerseits müssten wir es endlich schaffen, den leidigen Separierungsgedanken mit dem zusätzlichen Mittel der Selektion aus unseren staatlichen Lernhäusern zu verbannen. Zudem müsste es darum gehen, Ressourcen anders zu verteilen und von der Einbildung wegzukommen, dass Spezialunterricht in Kürze aus einem Kind mit Problem eines ohne Problem macht. Wie auch?
Das Problem hat meiner Meinung nach ursachenbedingt nicht unbedingt das Kind, sondern die Schule. Also kann ein Spezialunterricht nur helfen, Auffälligkeiten und Schwierigkeiten zu mildern und Verhalten den gebotenen Lernbedingungen anzupassen. Leider.
Die Schulleiterin macht deutlich, was mir auch schon länger auffällt: “Durch die kindsgebundenen zusätzlichen Lektionen kann der Einsatz von Heilpädagog:innen in einer Klasse auf bis zu 50 % steigen. Nimmt man die Regellektionen für abteilungsweisen Unterricht und Teamteaching dazu, erreichen wir nicht selten ein fast flächendeckendes Vieraugenprinzip, also 150 bis 180 Stellenprozente pro Klasse.” Auf Frage teilt sie meine Ansicht, dass sich mit dieser personellen Ausgangslage tolles Lernen mit Differenzierung und Gemeinschaftsorientierung umsetzen liesse.
Ein Paradigmenwechsel, sicher. Weg von der Stigmatisierung des “Problemkindes” hin zu einer Pädagogik der Vielfalt. Einer Therapie unterzogen wird nicht einfach das Kind, sondern untersucht und unterstützt wird die Schule. Ein Change, der nur mit einer entsprechenden pädagogischen Haltung und dem Mut zur Veränderung gelingen kann. Beides fehlt vielerorts. Und darum werden weiterhin viel zu viele Kinder diagnostiziert, um eine kranke und defizitorientierte Schule am Leben zu erhalten.
Und ein momentanes Fazit
Die Ausführungen zeigen klar und deutlich, wo der Schuh drückt. Diagnostizitis ist ein Hilferuf, eine Notstandshandlung, die zwar Linderung bringt, aber Etiketten verteilt. Sie kann jedoch auch ein Weckruf sein. Es kann nicht sein, dass das Versagen des Systems weiterhin auf dem Buckel einiger Kinder ausgetragen wird. Es braucht nun endlich grundsätzliche, strukturelle Änderungen. Lassen wir uns nicht ständig ablenken von Diskussionen rund um Lehrpersonenmangel, Noten ja oder nein, Lehrplan gut oder schlecht usw.
Wir brauchen ein Bildungssystem, das offener ist und weniger separiert und selektioniert. Wirkliches Lernen löst den Unterricht ab. Kleinere, altersdurchmischte Lerngruppen und das Vieraugenprinzip prägen das Lernsetting. Lehrpersonen werden aus dem “Lehrdünkel” entlassen und unterstützen das Lernen der Kinder und Jugendlichen als Lernbegleiter:innen.
So wird das Lernen wieder zu einer ansteckenden Gesundheit.
Schulpraxis 1/23, Diagnose, Pädagogische Zeitschrift Bildung Bern