Vor ein paar Tagen, es war vorletzte Woche, war ich beim Einstieg zu einem Colearningtag unserer Akademie dabei. Wir haben uns von Tierfiguren und Würfelsymbolen inspirieren lassen, persönliche Lernerlebnisse und eigenes Lernverhalten mit den ausgewählten Figuren und den gewürfelten Symbolen in Zusammenhang zu bringen, Erkenntnisse zu reflektieren und untereinander auszutauschen. So weit, so gut. Ein Vorgehen, das ich selbst in vielen Veranstaltungen in jeweils abgewandelter Form entweder als Lernender praktiziert oder als Moderator arrangiert habe. Ich habe es also “schon gehabt”. Ein Gedanke, der aufkommen könnte. So müsste ich wohl reagieren, wenn ich das Lernen lediglich als das Abarbeiten von Aufgaben sehen würde. Oder zeitlebens so erlebt hätte. Dann wäre hier wohl Schluss. Und ist es leider oft auch, bei Menschen, die nicht in die Vielfältigkeit und Einzigartigkeit des Lernens in immer neuen Ausgangslagen eintauchen mögen. Sich nicht darauf einlassen können, wollen. Sie fragen nach einem anderen Auftrag. Denn Tierfiguren und Würfel haben sie ja schon gehabt. Und verpassen das Lernen. Dem ist bei mir jedoch nicht so. Oft zum Glück, manchmal auch nicht. Denn: Jede Lebenssituation beinhaltet neue Lernsituationen. Neue Möglichkeiten, etwas zu entdecken, zu erkunden, herauszufinden. Das kann inspirieren, aber auch ablenken. Wer kennt es nicht. Es öffnen sich Türen, es ergeben sich neue Perspektiven, wenn mensch bereit ist, sich dem Sich-Zeigenden hinzugeben. Im Hier und Jetzt. Und wie an diesem Morgen im Effinger. Im Zusammenwirken von interessierten Menschen, einer Sammlung von Tieren und Würfeln, im Schein von gerade aufkommenden Gedanken. Einmalig. Original. Inspirierend.
Ich habe mich also eingelassen und begegne einem Tier, das ich schon länger bewundere, gerne beobachte, dessen Aussehen und dessen Bewegungen in mir ein Gefühl von Anmut, Eleganz und Schönheit hervorrufen. Und mit dem mich ein eindrückliches Erlebnis verbindet. Es ist diese alte Erfahrung, die in mir, in diesem Moment, Eigenschaften dieses Tieres hervorholt und gleich in Verbindung bringt mit einem anderen Tier, das auch in der Sammlung zu finden ist und bezüglich Lernen bei mir den noch intensiveren Eindruck hinterlassen hat. Zwei Tiere, zwei Geschichten, vor längerer Zeit erlebt, in dieser Runde spontan erzählt, mit anderen geteilt und neu mit meinem Sein und meinem Tun in Zusammenhang gebracht. Lernen ist erinnern, rekonstruieren, in Verbindung bringen. Ein neues Lernkonstrukt ist entstanden. Ein neues Verstehen. Ein Blick auf mich.
Lernen ist Erfahrung. Alles andere ist einfach nur Information.
Albert Einstein
Die zur Verfügung gestellte Lernumgebung hat bei mir also eine ganze Erfahrungswelt in Bewegung gesetzt. Ein Impuls hat genügt, mich nachdenklich zu machen. Mir bewusst zu werden, was war - und was daraus neu werden könnte. Aus meinem Theoriefundus taucht eine Erkenntnis auf, die mich in vielen Arbeiten und Projekten rund ums Unterrichten begleitet hat und mein Denken über das Lernen schon vor 30 Jahren fundamental bereichert und begründet hat. Es geht um den Konstruktivismus. Diese Lerntheorie basiert auf der banalen Erkenntnis, dass jeder Mensch seine Wirklichkeit, seine Erkenntnisse nur selbst entwickeln und aufbauen kann. Logisch, würde mensch heute sagen. Auch die Neurobiologie belegt das. Wir lernen nur wirklich, was wir selbst erarbeiten und durchdenken können. Begreifen und erfassen gibt bildlich wieder, worauf es ankommt. Beim Lernen und beim Verstehen. Selbstbestimmtes, selbstorganisiertes und selbstgesteuertes Lernen nimmt genau das auf. Nur ich selbst kann es tun. Niemand kann für mich die Erfahrung mit den zwei Tieren erinnern und eine neue Lernerfahrung daraus machen. Ein Impuls, eine Begleitung können mich unterstützen. Den Lernweg gehen muss ich selbst.
Und was ist nun mit den Tieren und den Geschichten dazu?
Ich lerne gerne von anderen, noch lieber mit anderen. Ich lasse mich gerne inspirieren. Damit haben auch die Geschichten zu tun.
Das Eichhörnchen
Wie bereits geschrieben: Fasziniert hat mich dieses Tier schon immer. Als Kind kletterte ich gerne in den Bäumen. Nicht nur auf Bäume. Und beobachtete neidisch, wie diese kleinen Nagetiere über die Äste von Baum zu Baum hüpfen und rennen können.
Viel später, ich war mit einem Arbeitskollegen unterwegs zu einem “Austausch im Spaziergang”, näherte sich uns ein Eichhörnchen. Recht gwundrig, wie mir schien. Wir bleiben stehen. Sagten nichts mehr. Das Tier kam immer näher, bis es schliesslich neben mir stand. Und plötzlich, mit einem Sprung begann, mein Bein hochzuklettern. Wir waren perplex, rührten uns nicht. Das Eichhörnchen beschnuppert die Hose, schaut sich um - und ist so plötzlich wieder verschwunden, wie es gekommen ist.
Eindrücklich. Ergreifend. Atemberaubend.
Nun frage ich mich: Was ist es denn, was mich noch mit diesem Tier verbindet? Da war doch noch etwas?
Ich google. Ich muss ein bisschen suchen. All die Beschreibungen und Besonderheiten des Tieres waren es nicht. Etwas anderes hatte mich fasziniert. Und da ist es. Um Krafttiere ist es gegangen. Was sind Krafttiere? Welche Bedeutung haben sie? Das interessierte mich. Krafttiere kommen aus der schamanischen Tradition. Sie sind persönliche Wegbegleiter im spirituellen Sinne und erscheinen in Tiergestalt. Sie gelten als Hüter eines Menschen, geben diesem Kraft und begleiten ihn auf seinen Wegen. Ein Krafttier kann auch in schwierigen Situationen oder Lebensphasen auftreten und seinen Schützling in dieser Zeit unterstützen, beraten und stärken. Ich befand mich damals in einer herausfordernden beruflichen Situation. Kein Wunder, habe ich mir da genauer angeschaut, welche Bedeutung die Begegnung mit dem Eichhörnchen haben könnte.
Hat mich das Eichhörnchen schliesslich zu einer bestimmten Handlung inspiriert? Kann ich nicht mehr so genau sagen. Aber die Verbindung ist geblieben.
Hast du auch ein Krafttier? Oder hast du eine besondere Nähe zu einem Tier? Neugierig? Dann schau nach, welche Bedeutung es für dich haben könnte.
Und das zweite Tier? Das ist eine längere Geschichte. Sicher werde ich sie in einem meiner nächsten Blogs aufgreifen.
Nach dem besagten Einstieg in den Tag tauschte ich mich noch kurz mit Ben, einem anderen Colearner aus. Wir kamen auf das Verfassen von Blogs zu reden. Sie sollen ja unser Lernen sichtbar machen. Und damit werden Lernerfahrungen teilbar mit anderen. Erreichen wir dieses Ziel? Wir finden, dass einige Blogs einen tollen Einblick in das persönliche Lernen geben und auch aufzeigen, mit welchen Überlegungen, Gedanken und Entscheidungen mensch sich gerade beschäftigt. Wir nehmen uns jedoch vor, selbst auch wieder konsequenter über das eigene Lernen zu schreiben. Ben verwies auf den eigenen Blog, den er eben geschrieben hatte. Er hatte sich bereits vorgenommen, vermehrt das eigene Lernen unter die Lupe zu nehmen.
So tue ich nun auch. Und will den Blog von Ben lesen, als Inspiration. Ich besuche den digitalen Garten auf Discord und staune: Da sind mittlerweile einige neue Blogs entstanden, die ich noch gar nicht gelesen habe. Vorerst konzentriere ich mich jedoch auf den erwähnten mit dem Titel So gestalte ich mein Lernen.
Ich lese den Text und hinterlasse folgenden Kommentar:
“Lieber Ben
Endlich bin ich dazu gekommen, diesen Blog zu lesen. Wir hatten ja schon am Colearningtag kurz darüber gesprochen. Und über das Bestreben, doch selber auch wieder vermehrt das Lernen selber, den Prozess in den Mittelpunkt der Reflexion zu stellen. Vielen Dank für deinen Einblick. Ich finde, du beschreibst da ein nachvollziehbares, erwachsenengerechtes und anspruchsvolles Lernen. Fern von Portionen, Lektionen, extern zubereiteten Häppchen. Ein Forschen, Erkunden, Recherchieren, Informieren, Überfliegen, Auswählen, Weglassen und schliesslich Einlassen und Vertiefen. Immer wieder im Austausch. Selbstlernen in Gemeinschaft. Und du wirfst die so wesentliche Frage auf, wie Menschen in diesem Prozess in einer erwachsenen und doch genügend unterstützenden Art in dieses freie Lernen in einem immensen Feld von Lerngelegenheiten hinein begleitet werden können. Vielleicht wäre ein Colearning Lab ein Ort, wo gemeinsam an diesen Fragen getüftelt werden könnte. Wie bekomme ich als Selbstlerner ein gutes Gefühl für eine getroffene Auswahl? Wie treffe ich die Auswahl? Bin gespannt, dich noch zu weiteren konkreten CAS Lernerfahrungen zu lesen. Übrigens: Ich schreibe gerade meinen Blog, übers Lernen. Und die Lektüre deines Blogs ist Teil. Was mache ich damit? Du kannst es bald nachlesen.. Merci für die Inspiration.”
“Wir lernen, wie lernen auch noch gehen könnte.”
Christoph Schmitt, Colearner
Ich mache mich auf den Weg. Die Ausführungen von Ben zeigen deutlich, wie sehr nachhaltiges und zufrieden machendes Lernen abhängig ist von der anregenden Lernsituation und der passenden Lernumgebung. Die Situation können wir uns nicht immer aussuchen. Schön, wenn wir uns auch beiläufig und spontan auf etwas Neues einlassen können. Umgebungen können jedoch arrangiert werden. Es sind die Bausteine, die Instrumente, die Rohstoffe in einem Gestaltungsprozess. Kommt mir vor wie das “mise en place” beim Kochen. Auf die Idee folgt die Vorbereitung, der Umsetzung folgt die Nachbereitung (Reflexion). Den im Kommentar gestellten Fragen rund um den Selbstlernprozess will ich mich weiter widmen. Auch in meinem Lernen. Ich sehe da nämlich eine naheliegende Verbindung, die mich schon länger beschäftigt. Es geht um Selbstmanagement und Selbstcoaching. Doch auch dazu mehr in einem nächsten Blog.
Übrigens habe ich gerade angefangen, das eben erschienene Magazin Neue Narrative zu lesen. Und, wen wundert’s, das Lernen bekommt auch im neuen Heft wieder viel Raum. Dieses “Magazin für neues Arbeiten” macht in animierender Form deutlich, wie eng verwoben das Lernen mit der Arbeits- und Lebenswelt ist. Und in Zukunft sein wird. Spannend.
Unter dem Titel “Man verlernt nie aus” schreiben sie: “Lernen wird traditionell Kindern zugeschrieben, dabei lernen wir ein Leben lang. Auch in der Arbeitswelt. Organisationen müssen vieles neu lernen und einiges sogar verlernen.”
Als Auszug ist dieser Artikel auf der Website abgelegt und frei zugänglich. Lesenswert!
https://www.neuenarrative.de/magazin/man-verlernt-nie-aus
Ein Kind hat im Rahmen eines Edu-Camps folgendes festgehalten:
Diesem Ansatz folgen auch wir im Colearning.
Und merken, wie schwierig es mitunter ist, unsere schulisch geprägte Vorstellung vom Lernen (Belehrung erfahren, vermittelt bekommen, auswendig lernen, reproduzieren auf Mass) zu sprengen und von den Schulungshüllen zu befreien.
Zu verlernen! Eben!
Zum Schluss noch folgende Aussage. Entlarvend und doch bezeichnend, aufgeschnappt im SRF-Magazin News Plus:
“Unis sind Orte, wo Wissen vermittelt wird.”
Genau, denke ich. Und wo Dinosaurier ein und aus gehen…
Wann hast denn du zum letzten Mal etwas verlernt? Und was genau?