Diese Aussage habe ich mitgenommen aus unserem Mentoring von letzter Woche. Marco Jakob hat sie mir gesteckt. Einfach so, aus dem Gespräch heraus. Schon fast leichtfertig. Sie - oder er - hat mich irgendwie infiziert, ja genau. Fasziniert natürlich auch. Die Aussage hat sich mir aufgedrängt. Ich muss sie nicht nehmen, nicht in meinen Kopf rein lassen. Doch zu spät - sie wirbelt schon in meinen Gedanken rum und bringt mich zum Schmunzeln. Ich spüre die List, das Schalkhafte. Das gefällt mir. Salopp beschreibt sie eine Art des Lernens, wie ich sie mir immer wieder wünsche. Doch wie realistisch ist das? Wir werden sehen. Ich nehme sie mit, die Aussage, fast auch in meine Träume.
Ich wiederstehe der Versuchung nachzuschauen, was google zum versehentlichen Lernen sagt. Ich merke, das würde meiner Lust, der Sache nachzuspüren, einen gewaltigen Dämpfer verpassen. Ich will ja nicht einfach wissen, was andere dazu wissen, ich will erfahren und erkunden, was ich für mich entdecke.
So lege ich mich auf die Lauer
Ich bin total präsent. Der Zufall will, dass ich gleich ein Tag nachdem dieser Virus in mein Leben gekommen ist, zu einer mehrtägigen Wanderung aufbreche. Ich bin unterwegs mit einem guten Freund. Er weiss natürlich nichts von meinem Aussage-Virus - und ich halte Abstand.
Kaum haben wir den Bahnhof verlassen, zücke ich schon mein Smartphone. Mein wachsames Auge erspäht einen Spruch, der auf einer Baustellenwand hingesprayt ist. Das Foto ist gemacht, bevor ich genau weiss warum. Oder wozu. Wir ziehen los und ich nehme sie mit, diese in Grossbuchstaben hingesetzte Frage.
Bin ich der, der ich sein will? Bevor der Weg steil ansteigt und ich an nichts anderes mehr denke als an meinen nächsten Schritt, poste ich das Foto mit meiner Überlegung dazu. Kurz und bündig.
Unser Weg führt uns über Feld und Wald. Nicht ganz versehentlich. Wir haben uns ein Ziel gesetzt. Wir sind unterwegs nach Anleitung. Die gelben Schilder weisen uns den Weg und nennen uns die Wanderzeit. Im Zweifel hilft die App. So sensibilisiert ich gerade auf das unbewusste, versehentliche Lernen bin, kommen mir die Wegweisungen vor wie eine Belehrung oder eine Bevormundung.
Aber sie meinen es ja nur gut, die Schilder
Fokussiere ich beim so Dahingehen wieder aufs versehentliche Lernen, komme ich ins Stolpern. Ich merke, wie auch ich durch schulisches Lernen geprägt und getrimmt bin und anfange, Wissen mit Lernen gleichzusetzen. Kenne ich die Bäume, die Blumen, die Gräser mit Namen? Kann ich Weizen, Roggen, Hafer oder Dinkel auseinander halten? Der Lerneffekt ist gering. Eigentlich sind es nur Wissensabfragen. Es fehlt offenbar die Lockerheit und die Unbefangenheit, um mich wirklich ins Versehentliche treiben zu lassen. Oder habe ich es einfach nicht gemerkt? Dass ich dauernd irgendwie lerne? Was denn?
Spannender wird es, als ich spontan die Frage nach Lernerfahrungen in der letzten Zeit zur Sprache bringe. „Lernerfahrungen?“ sagt der Freund. Stirnrunzeln. „Was meinst du jetzt genau?“ Ich tauche tiefer und frage ihn, womit er sich denn in letzter Zeit intensiver beschäftigt habe. Die Frage ist noch nicht fertig gestellt, da kommt schon die Antwort: „Das Kochen!“ Ein Leuchten in seinen Augen. Die Leidenschaft, seit er mehr Zeit hat. Und stimmt, fügt er an, gelernt habe er vieles. Einfach so, on the job quasi. Es mache Spass und er habe sich auf einer App sogar eine Hitliste der Lieblingsrezepte gebastelt. Das Thema für die nächste Wegstrecke ist gegeben.
Ein freudvoller, aus eigenem Antrieb geleiteter Lernprozess
Ich denke, versehentliches Lernen hat einiges zu tun mit natürlichem Lernen. Ute Henrich, eine deutsche Autorin, beschreibt es wie folgt: „Natürliches Lernen steht in unmittelbarem Bezug zu den persönlichen Erfahrungen und damit dem individuellen Erleben. Es hangelt sich bestenfalls an den eigenen Bedürfnissen entlang und ist damit selbstgesteuert und aus dem Innersten eines Menschen initiiert.“
Dies ist die Einleitung zu einem sehr lesenswerten Artikel, in dem es nicht nur darum geht, was natürliches Lernen ist, sondern auch darum, wo es denn verloren geht.
Etwas weiter unten schreibt sie:“Ich möchte dich mit diesem Text an die Tatsache heranführen, dass natürliches Lernen bei den meisten Menschen, durch den Prozess der Erziehung, verschüttet wurde und weiterhin verschüttet wird."
Im seit einem knappen Jahr laufenden Colearning-Projekt erleben wir, wie herausfordernd es ist, wenn Jugendliche die Möglichkeit erhalten sollen, intrinsisch motiviert zu lernen. Wie unbewusst darf Lernen sein, wie bewusst muss es werden?
Und wie steht es mit dem Stolpern und dem Scheitern?
Wir sind daran, aus unseren Erfahrungen zu lernen. Darüber und über die Fortsetzung des Projekts werden wir auf unserer Website berichten.
Was haben wir doch gelacht
An Pfingsten hatte ich schon einen meiner Söhne nach dem Tennisspiel in eine Diskussion um bewusstes und unbewusstes Lernen hineingezogen.
Am Nachmittag erlebten wir dann, wie der kleine Enkel, noch etwas tapsig unterwegs, immer wieder andere Familienmitglieder dazu bewog, mit ihm und seinen geliebten Markierhüten zu spielen. Was für eine Freude und Ausdauer, die im ganzen Garten versteckten Hüte zu suchen, sie einzusammeln, entsprechend zu stapeln und zurück zu bringen. Immer und immer wieder. Und plötzlich wurden sie verkehrt herum gestapelt, zugeworfen oder auf dem Kopf getragen.
Versehentlich ins Lernen gestolpert
Erst beim Aufschreiben dieser Zeilen wird mir bewusst, was auch ich nun die ganze Zeit versehentlich gelernt habe. Versehentlich lernen. Die Fügungen des bewussten und des unbewussten Lernens. Was doch ein bisschen Reflexion bewirken kann.